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Texte


VollMacht

© 2001 Judith Rau
<First Dragontree - Literary Translation>

Ludwig stellte die Teetasse mit seinem Namen darauf ab, ohne getrunken zu haben. Das war zu gut, um wahr zu sein, aber da stand es. Blau auf weiß.

»Wir regeln alle ihre rechtlichen Angelegenheiten. Schnell und unbürokratisch. Es kostet sie ...«

Er klickte auf den Button.

»NICHTS«

In goldenen Lettern. Ein einzelnes Wort auf einer Seite mit schwarzem Hintergrund und dem blass gehaltenen Firmenlogo und einem stilisierten Anwalt in Talar in der rechten unteren Ecke.

»Shannon, komm mal her.«

»Kann dich nicht verstehen. Die Waschmaschine läuft.«

Dann eben nicht. Was hatte sie bloss wieder so Wichtiges zu tun? Er ließ den Cursor auf das Pictogramm gleiten und klickte. Ein Formular tauchte auf.

»Shannon, nun komm doch.«

Er hörte, wie sie die Küchentür zu schlug.

»Kannst du mich nicht einmal in Ruhe lassen?«

Guckte sie schon wieder dieses Reisemagazin, während sie kochte?

»Sieh her.«

»Ja, und?«

Ihre Hände lagen auf seinen Schulter, ihr Haar kitzelte seine Ohren.

»Wir können endlich etwas unternehmen.«

»Was bieten sie denn für Hotelkategorien an? Und wo? Dominikanische Republik?«

»Blödsinn. Das ist kein Reisebüro. DRA steht für Digitaler Rechtanwalt. Ein Programm, das sich ganz selbständig um deine Rechtsbelange kümmert. Hier, lies.«

Er wischte ihre Hand von seiner rechten Schulter und tippte mit seinem Zeigefinger auf die erste Zeile.

»Wir regeln alles, so lange es etwas in Ihrem Leben zu regeln gibt. Vertrauen Sie auf die digitale Lösung, die keinen Wunsch offenläßt.«

»Das wird Schmitt das Genick brechen.«

Shannon seufzte.

Sie verstand es einfach nicht. Hatte es nie verstanden. Nicht einmal, als er ihr die Putte zeigte, aus deren Schniedel ein Wasserstrahl auf den Betrachter spritzte, um hinterher auf der Innenseite des Bildschirms herunterzufließen, sich in einem Brunnen zu sammeln, während die Putte verblasste, und in einer Fontäne wieder aufzusteigen. Dann regnete es Sterne, als verglühe eine Wunderkerze, und Ludwigs Photo erschien.

Ausgerechnet dieses Photo. Zwei aufrecht gestellte Ski, zwei in Fäustlinge verpackte Hände, die einen Baum umarmten. Den einzigen auf der Piste. Es war sogar in der Zeitung gewesen. »Der dümmste Skifahrer« hatte darunter gestanden. Glücklicherweise hatte Ludwig das gar nicht mitbekommen, erst im Büro, als Schmitt ihn damit in der Jour-fixe-Sitzung aufzog. Das war schlimm genug gewesen, aber dass der Kerl ihn jetzt auch auf seiner Webpage ausstellte, war einfach unerträglich.

Shannon hatte nur gelacht, als sie es betrachtete. Alle lachten, sogar der Hausbote Fritz. Jedesmal, wenn er Ludwig sah, kicherte er. Eigentlich kicherte Fritz Wacker ja immer, wenn er jemandem auf dem Gang entgegen kam, doch Ludwig war sicher, dass sich das Kichern änderte, sobald der zurückgebliebene Mann ihm begegnete. Höher. Gemeiner. Als habe es eine Bedeutung, die nur Fritz klar war.

Zu anderen Gelegenheiten kicherte Fritz dagegen einfach nur sinnlos, doch wenn er Ludwig traf, blieb er entgegen aller Gewohnheit stehen, hob die Hand wie zum Gruss, um sich gleich danach am Hinterkopf zu kratzen, die blauen Kinderaugen zu Schlitzen zu schließen und ganz besonders laut los zu kichern. Ludwig spürte jedes Mal genau, wie sich Fritz, der Idiot, über den dümmsten skifahrenden Facheinkäufer für Skischuhe lustig machte.

»Kostenlos?«

Ludwig beobachtete auf dem spiegelnden Bildschirm, wie Shannon den Kopf drehte, sehnsüchtig zur Tür blickte, in die Küche zurück wollte, zu ihrem Reisemagazin, zu ihren unerfüllbaren Träumen, die sie doch nie weiter als an den Strand von Rügen bringen würden.

»Wirklich, musst du das so ernst nehmen? Niemand erkennt dich auf dem Bild, und es war doch auch ...«

Er glaubte zu sehen, wie dieser Muskel über ihrem Grübchen zitterte, während sie das Kichern unterdrückte. »Und überhaupt, was kann deren Angebot schon wert sein, wenn es nichts kostet.«

Er ließ den Stuhl herumschwingen. Seine Augen blitzten.

»Ein Vermögen.«

Shannon zuckte die Schulter: »Du und deine hochfliegenden Ideen, aber ich kann dich ja sowieso nicht aufhalten.«

Er ließ sie gehen. Tippte seinen Namen ein, dann die Adresse, dann Schmitts, schließlich seinen Klagewunsch. Unterlassung und Schmerzensgeld für erlittene seelische Verletzung.

Sicher, Europa war noch nicht soweit wie die USA. Es würde keine Million einbringen, vielleicht ein paar Tausend Euro, vielleicht auch nur ein paar Hundert, aber es war ein Anfang. Er sendete die Daten und wurde umgehend an die nächste Page weitergeleitet. Eine Generalvollmacht.

Seit die Behörden Online-Schriftkehr endlich vollständig akzeptiert hatten, waren die Kosten gefallen, die Möglichkeiten, Klagen zu finanzieren vielfältiger geworden, doch noch nie hatte jemand ein so umfassendes Angebot gemacht.

Ludwig hatte ohnehin überlegt, ob er nicht einfach auf eigene Kosten gegen www.Schmittchens_Pieselnde_Putte.de klagen sollte; an dem Tag, als die Versicherung die Übernahme wegen Aussichtslosigkeit ablehnte. Doch das Risiko war hoch. Die Stundenhonorare eines Staranwaltes oder einer Staranwältin konnte er sich nun einmal nicht leisten, mal ganz abgesehen davon, dass es in Klein-Bürgerstedt keine Staranwälte gleich welchen Geschlechts gab.

»Sie werden von den Besten vertreten. Der digitale Anwalt kennt alle Tricks, alle Winkelzüge, alle Kommentare aus mehr als zweitausend Jahren. Nichts entgeht ihm.«

Ja, nichts würde diesem Programm entgehen, das Zugriff auf alle juristischen Datenbanken der Welt hatte. Und es kostete nichts, um genau zu sein, die DRA erhoben keine Gebühren, falls sie einen Prozess verloren und nur zwanzig Prozent des Erlöses, wenn eine Klage erfolgreich beendet wurde sowie die hausüblichen Honorare und Prozentanteile für andere zivilrechtliche Tätigkeiten.

Ludwig trank die Tasse leer. Der Tee war überraschend bitter. Er verschluckte sich, hämmerte unkontrolliert auf der Tastatur herum. Das Formular war weg.

»Macht nichts. War ja alles eingetragen.«

»Hast du was gesagt«, schrie Shannon aus der Küche und dann: »Komm essen.«


In den nächsten Monaten geschah nichts. Keine Schriftsätze, keine Meldung in der Mailbox oder im Hausbriefkasten. Das beunruhigte Ludwig nur wenig. DRA hatte mit der Subscriptionsbestätigung auch mitgeteilt, dass nur die gegnerische Partei einen Ausdruck erhalten würde, mehr sei nicht notwendig, um der Form zu genügen. Außerdem könne jeder Mandant bei Bedarf in seinem Passwort-geschützten Konto Einsicht in die jeweiligen Tätigkeiten und natürlich die Finanzen nehmen. Das hatte er einmal getan und kein Wort verstanden, aber offensichtlich waren einige Schriftsätze zwischen DRA und Schmitt ausgetauscht worden. Es schien also voranzugehen, wenn auch langsam.

Bei dem geringen Streitwert und der ständig steigenden Anzahl von Mandaten, die stolz auf der Über-uns-Seite präsentiert wurden, eigentlich auch kein Wunder. Trotzdem ärgerte Ludwig sich darüber, dass die Putte noch immer ihr digitales Wasser auf fremde Bildschirme sprühte.

Fritz kicherte jeden Tag lauter, wenn er ihm begegnete. Manchmal konnte Ludwig dem Drang, die Hände auf die Ohren zu pressen, kaum widerstehen. Dann, es war ein Samstag Morgen, blinkte der elektronische Briefkasten. Samstag gab es sonst nie Mails. Etwas nervös öffnete er die Nachricht.

»Shannon, Shannon, schnell, komm.«

Sie hatte das Handtuchknäuel noch in der Hand und würde es gleich irgendwo hinlegen. Sie ließ diese Dinger überall fallen.

»Was ist denn?«

Sie war gar nicht irritiert. Wahrscheinlich war das Soufflé ungewöhnlich hoch aufgegangen oder sie träumte mal wieder von grüner See und wolkenlosem Himmel. Vielleicht auch beides gleichzeitig.

»Siehst du?« Er konnte den Triumph kaum verbergen. Sie beugte sich über ihn, roch nach Süßkartoffeln und Sahne, die sie in ihren Haaren verteilt hatte. Ihre Hände krallten sich in seine Schulter.

»Schnell, sieh nach.«

Seine Finger flogen, als er ihren Kontostand abfragte.

»Viertausendfünfhundert? Ist das alles?«

Er wollte aufbrausen, als der Briefkasten zum zweiten Mal pingte.

Die Nachricht war in Gold auf schwarzem Grund: »Vielen Dank für Ihren Auftrag. Da sich unsere Zusammenarbeit so erfolgreich gestaltet hat, schlägt DRA vor, nun den Fall ihrer Schwiegermutter zu bearbeiten.«

»Was hat denn Sigrid damit zu tun?« Sie spuckte, als sie den Namen der zweiten Frau ihres Vaters aussprach.

»Ach gar nichts. Ich habe vor ein paar Wochen mal nachgefragt, was die Sache Schmitt macht, und da hat DRA gefragt, über was wir uns in der letzten Zeit geärgert haben.«

Er starrte auf das Handtuch. Ein blaues mit weißen Säumen. Es war eine heikle Sache, Sigrids Namen überhaupt zu erwähnen, geschweige denn, mit Shannon darüber reden zu wollen, dass ein paar Blumen, die eine alte Frau auf das Grab ihres verstorbenen Mannes legte, gar nicht so schlimm sein konnten.

»Du hast doch nicht ...«

»Aber warum nicht? Du bist doch immer sauer, wenn sie die Grabplatte verschandelt.«

»Kannst du was dagegen tun?«, ihre Stimme klang plötzlich so weich wie früher.

»Vielleicht ...«

Sie legte den Kopf auf die Schultern und füllte das Formular selbst aus. Sie küsste ihn, als sie es abschickte.

Diesmal ging es schneller. Erst die einstweilige Verfügung, dass Sigrid keine Blumen auf dem Grab ablegen dürfe, da die Grabpflege im Testament ausdrücklich Shannon übertragen worden sei, dann das Urteil, das bei Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld von gut fünfzigtausend Euro androhte, dann der Montag Morgen, als Shannon mit schnellen, triumphierenden Schritten vom Friedhof zurückkam, ein Polaroidbild in der Hand: Sigrid, die eine rote Rose niederlegte. An dem Abend hatten sie Sex wie nie zuvor.


In den nächsten Jahren füllte sich ihr Konto ständig. Sie kauften ein Haus, als DRA sich mit der Zeitung verglich, die damals das Bild gebracht hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen, dann die Hütte in den Alpen, als Shannons Firma einer Mobbingklage entgehen wollte. DRA fragte erst gar nicht mehr, außer natürlich danach, worüber sich Ludwig gerade ärgerte. Mit der Zeit wurde das Programm so etwas wie der Freund, den er nie gehabt hatte und dem er vollständig vertrauen konnte. Selbst über Shannon schrieben sie. DRA fand, dass sie die beste der Frauen sei. Immer eine Idee parat, wenn Ludwig einmal nicht weiter wusste und sie gerade keine Reise plante.

Eines Tages erwähnte er Fritz in einem privaten Chat. DRA schien interessiert. Ludwig zuckte mit den Schultern, was das Programm natürlich weder sehen noch verstehen konnte.

»Das lohnt sich nicht«, tippte er und setzte einen traurigen Smily.

»Das ist eine irrige Annahme. Friedrich von Wackers Eltern sind nicht unvermögend, und da sie die Pflegschaft für ihren Sohn übernommen haben, sind sie seit der Novelle des Vormundschaftsrechts genauso verantwortlich für seine Handlungen, als wäre er nicht älter als zwölf.«

»Ich verstehe immer noch nicht.«

»Fühlen Sie sich nicht schlecht, wenn er kichert? Mussten Sie deshalb nicht vorgestern wieder Ihren Psychologen aufsuchen?«

Ludwig bestätigte das zwar, setzte aber hinzu, daß diese Besuche genau genommen gar nicht mehr nötig seien. DRA riet dennoch dazu, die Therapie fortzusetzen, für den Fall der Fälle. Seelische Schäden seien zwar etwas schwerer zu beweisen, aber noch schwerer zu widerlegen. DRA listete gleich eine Reihe der besten Gutachter auf, die sie dem Gericht empfehlen könnten, und fragte, ob Ludwig Einwände gegen einen dieser Zeugen hätte. Ludwig verneinte, er hatte noch nie etwas gegen DRAs Vorschläge gehabt.

Natürlich hatte das Programm auch Dr. Weingarten empfohlen; und so wenig Ludwig es sich eingestehen wollte, die Konsultationen taten ihm gut. Er konnte jetzt mit seinen Kollegen scherzen, auch über Fritz Wackers ständig zunehmendes Gekicher.

Eigentlich war ihm Fritz inzwischen völlig gleichgültig. Ludwig hatte nur mit Dr. Weingarten darüber gesprochen, weil das Angebot seines Chefs, von jetzt an von zu Hause aus zu arbeiten, möglicherweise diese Fortschritte gefährden konnten. Dr. Weingarten hatte keine Bedenken, riet jedoch zu einem Freizeitausgleich, der Ludwig den Kontakt mit Menschen aufzwang. Nach einer kurzen Rücksprache mit DRA entschied sich Ludwig für Golf; erstens spielte sein Chef Golf und zweitens nahm er an, dass es weniger anstrengend sei als Tennis.

Shannon kam vom Pool zurück und reichte dem Hausmädchen einen dicken, weichen Handtuchball.

»Was Neues?«

»Möglicherweise.«

Sylvester verbrachten sie auf einer winzigen Insel in der Karibik. DRA hatte inzwischen zwei weitere Fälle aus den vergangenen beiden Jahren gewonnen. Einen gegen eine Chartergesellschaft, weil die Kühlung auf deren Yacht ausfiel und sie sich zwei Tage lang von Dosen-Spaghetti ernähren mussten, einen anderen vor einem amerikanischen Gericht, weil Shannon bei einem Bummel in NYC über einen Gartenschlauch gestolpert war und sich die Hand gebrochen hatte. Ludwig liebte das Global Village.

Zurück in Klein-Bürgerstedt schaltete er zuerst seinen Computer an. Jede Menge Nachrichten, von denen er die meisten ungelesen in den Trash beförderte. Die mit den Namen seiner Kontrahenten im Subjekt oder Absender wurden ohnehin nicht angezeigt.

DRA vermutete, dass die von Wackers hinter dieser Mail-Bombing-Aktion steckten und eine Software einsetzten, die verhinderte, dass sich Inhalt der Nachrichten oder Gesamtaufkommen für eine Klage eigneten. Ludwig hatte zögernd akzeptiert, dass hier einzig Filter halfen.

Übrig blieben also nur eine Nachricht von DRA und eine von seinem Chef. Eine Einladung zum Golf, oder einer der Aufträge, auf dem Netz nach Lieferanten zu suchen, die Ludwig manchmal noch annahm.

Shannon fand es unerträglich, dass er immer noch arbeitete. Sie wollte reisen, immer nur reisen.

»Lass das doch. Ist doch gar nicht mehr nötig. Komm, wir buchen gleich was Neues, vielleicht Mallorca, da geht doch immer etwas schief«, sagte sie, und ließ das Handtuch von ihren nassen Haaren auf den Sessel neben ihn gleiten.

»Du warst auch schon mal diplomatischer. Wirklich, es dauert doch nur ein paar Minuten, Schatz.« Er lächelte kurz und küsste ihre Hand auf seiner Schulter, um dann auf die Leinwand über dem Kamin zu starren. DRA hatte mehr als einmal darauf hingewiesen, dass sie auch miteinander sprechen könnten, ja dass sogar inzwischen eine virtuelle Persönlichkeit mit seinem Namen programmiert worden sei. Ludwig hatte abgelehnt. In all den Jahren hatte er selbst sich ein Gesicht zu den Nachrichten erschaffen, eine Stimme zu den Sätzen, hatte sich ausgemalt, dass DRA schwarze Haare, einen Spitzbart und lange, schlanke Finger hatte. Das wollte er sich nicht verderben lassen, nicht einmal von DRA.

»Welche Mängel hast du zu beklagen?«

Shannon zog die Hand zurück und sagte, sie gehe in ihr Zimmer. Außerdem murmelte sie noch etwas von einem richtigen Brief, der angekommen sei.

Ludwig achtete nicht darauf und dachte nach. Sie waren bis Miami mit einer Linienmaschine geflogen. Ruhige Flüge. Bester Service. Der Hubschrauberpilot, der sie auf ihre Insel brachte, war nicht nur kompetent gewesen, sondern hatte auch viele Geschichten zu erzählen gewußt. Shannon hatte sich noch darüber amüsiert, als sie schon in Hängematten lagen und auf das Rauschen des Meeres lauschten. Die sanitären Anlagen einwandfrei. Die Angestellten hatten ihnen jeden Wunsch erfüllt, noch bevor sie ihn aussprechen konnten, selbst Shannons Handtuchknäuel waren verschwunden, bevor er sie überhaupt wahrnehmen konnte.

Er hörte ihre Schuhe über die Fliesen klackern. Anders als sonst. Unrhythmisch, als stolpere sie oder sei betrunken. Aber sie konnte noch gar nicht lange fort gewesen sein. Wahrscheinlich hatte die Köchin das Süßkartoffelsoufflé verdorben.

Shannon tippte ihm auf die Schulter.

»Jetzt nicht«, zischte er. Nichts. Gar nichts. Ihm fiel nichts mehr ein. Nicht einmal Fritz Kichern konnte er ernsthaft als Ärgernis bezeichnen, seit er zu Hause arbeitete.

»Ich muss sofort ins Büro.«

»Dieser Brief ...«

»Ich habe keine Zeit für einen Ferienkatalog. Ich muss Fritz suchen.«

»Hör doch, es ist wichtig ...«

Etwas an Shannons Ausdruck war merkwürdig. Bloß, weil er jetzt keine Lust hatte, sich bunte Bildchen anzusehen? Sie starrte immer wieder auf den Brief. Seltsam, dass heute noch jemand Papierpost versandte, selbst wenn es nur Prospekte waren, aber Shannon hatte ja nie gern über das Netz gebucht.

Er war schon beinahe aus der Tür, drehte sich dann doch um, um Shannon einen Abschiedskuss zu geben. Sie wich zurück. Na, dann nicht. Sollte sie beleidigt sein. Eine Reise nach Neu Zeeland würde das schon richten. Shannon öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, schloss ihn dann wieder und rannte die Treppe hinauf. Es war sicher das abgedunkelte Licht, dass er ihre Schultern zucken zu sehen meinte.


Fritz sei nicht da, sagte sein Chef und verfehlte das Loch. Ludwig nahm den Schläger, und versenkte den Ball mühelos. Er sei krank, fuhr sein Chef fort und es klang wie ein Vorwurf, das Kichern sei immer schlimmer geworden, sie hätten ihn entlassen müssen.

Nicht einmal Fritz. Sigrid lebte auch schon lange nicht mehr in der Stadt. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Schmitt war kurz nach Ende des Prozesses einem Herzinfarkt erlegen. Ludwigs eigenes Herz raste plötzlich auch.

Nach Hause. Vielleicht war Shannons Idee mit dem Mallorcaurlaub doch nicht so schlecht. Er erinnerte sich wieder an ihren Gesichtsausdruck, so verlassen, so, als sei etwas Furchtbares geschehen. Er sah sie wieder in dem Zimmer stehen und auf den Brief starren. Ohne Entschuldigung würde es wohl nicht abgehen, aber mehr als alles brauchte er einen Klagegrund.

Ludwig hielt an einem Blumenladen. Der Rosenstrauch hatte nicht einen einzigen Dorn. Er hastete durch die Herrenabteilung diverser Kaufhäuser. Die Verkäufer waren korrekt, zuvorkommend und kompetent. Er rief bei allen für ihre unseriösen Geschäfte bekannten Anlagenberatern an und keiner erteilte ihm eine falsche Auskunft.

»Ich brauche einen Fall«, schrie er. »Tausend Euro für einen Fall», und die Leute auf der Straße drehten sich nach ihm um. Sahen ihn an, wie er Fritz immer angesehen hatte. Er musste kichern, als er sie so da stehen und stieren sah. Sie kamen auch noch dran. Sie alle. DRA wartete schon auf sie. Er schrie es ihnen entgegen.

Die Sanitäter waren freundlich, aber bestimmt, als sie ihn in die Klinik von Dr. Weingarten brachten. Dr. Weingarten war freundlich und bestimmt, als er Ludwig eine Spritze gab.

Shannon besuchte ihn am nächsten Tag. Ihre Augen waren verquollen. Sie hielt ihm den Brief hin.

»Ich dachte, du liebst mich.«

Er kicherte, während er DRAs Scheidungsantrag wegen vor der Eheschließung bekannter, aber verheimlichter psychischer Erkrankung, hier zwanghaftes Verteilen von Handtüchern, las. Er kicherte, als Shannon schwor, er werde dafür bezahlen. Warum auch nicht? Er konnte zahlen. Er konnte sich viele Shannons kaufen, die keine Handtücher fallen ließen, wo sie gerade gingen oder standen.

Er kicherte auch noch, als DRA die Mitgliedschaft im Golfclub beendete und dann nacheinander die Hütte, die Yacht, die Autos und das Haus verkaufte. Er kicherte, als DRA seinem Chef Ludwigs Kündigung zustellte. Alles gegen ein horrendes Stundenhonorar und die erhöhte Gewinnbeteiligung für andere anfallende zivilrechtliche Tätigkeiten natürlich. Er kicherte, als Shannon vom verbliebenen Vermögen den Löwenanteil als Schadenersatz für die während der Ehe erlittenen Grausamkeiten, insbesondere wegen Vernachlässigung ihre Grundbedürfnisse, erhielt und Ludwig auch noch die Kosten für ihre DRAin übernehmen musste.

Er kicherte jetzt ständig, auch während er die Hauspost in der Firma verteilte und Abends stundenlang nach einer Homepage mit seinem Photo suchte. Sie musste irgendwo da draußen sein. Sie musste. Es war ein berühmtes Photo. Wenn er es fand, konnte er aufhören zu kichern, vorher nicht, ganz bestimmt nicht. Nur, wenn er Friedrich Wacker bei Dr. Weingarten begegnete, verstummten beide.

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